Welchen Aufgaben hat die PR-Forschung? Wie definiert sie ihren Gegenstand? In welchem Verhältnis steht sie zur PR-Praxis? Wie begründet sie und wie sieht es mit ihrem Anspruch auf ihre Wissenschaftlichkeit aus? Thomas Pleil berichtet in drei ausführlichen Posts von Grundlagendiskussionen, die auf der letzten Tagung der Fachgruppe PR und Organisationskommunikation der DGPuK geführt, aber wohl eher begonnen als abgeschlossen wurden: Ein bisschen Historie. Oder: Zurück auf Anfang, Die Helmut Schmidts der PR-Forschung: Rezepte für die Praxis? und PR-Forschung ist, was PR-Forschung tut?.

Als jemand, der von PR-Forschung nichts versteht, notiere ich mir Links zu Dejan Verčič, der in seiner Keynote amerikanische und europäische Begriffe von PR miteinander konfrontiert hat, und zu den deutschsprachigen PR-Forschungs-GründerInnen (sicher weniger phantasielos-lehrerhaft als Helmut Schmidt, mit dem sie in eine Reihe gestellt wurden) Barbara Baerns, Ulrich Saxer und Manfred Rühl.

Einer der Aspekte in Thomas Pleils Berichten interessiert mich besonders, weil er meine Arbeit als Lehrender an einer Hochschule, genauer gesagt: den Wissenschaftsanspruch und das Wissenschaftsvertändnis betrifft. Wenn ich es richtig verstanden habe, ging die Diskussion in Fribourg auch um zwei unterschiedliche Konzepte des Verhältnisses der PR-Forschung zu ihrem Gegenstand, der PR: Auf der einen Seite die Auffassung, dass die PR-Forschung eine von der PR-Praxis—außer dass diese ihren Gegenstand bildet—weitgehend getrennte Aktivität ist, auf der anderen Seite die Ansicht, dass die PR-Forschung an der PR selbst mitwirkt, under anderem, aber nicht nur, durch Ausbildung für die Praxis und kritische Beurteilung der Praxis. Hier wird der PR-Forschung ein Status zugeschrieben wie wohl oft der Journalistik im Verhältnis zum Journalismus oder der Theaterwissenschaft im Verhältnis zum Theater, dort eher wie der Informatik im Verhältnis zur Arbeit von Programmierern.

Mich interessiert diese Diskussion in Hinblick auf soziale Medien und die Webkommunikation; zur PR-Forschung selbst kann ich nicht qualifiziert Stellung nehmen. Ich glaube, dass es bei dieser Diskussion nicht oder nicht nur um das Selbstverständnis der Wissenschaft geht, sondern vor allem um das Verständnis ihres Gegenstands. Von den Vertretern der ersten Position wird die wissenschaftliche Theorie als ein Addendum zur Praxis verstanden, das von der Praxis als solcher nicht benötigt wird, von der anderen als Bestandteil der Praxis oder als von dieser wenigstens nicht trennbar. Es gibt, wenn ich es richtig verstehen, ganz ähnlich unterschiedliche Ansätze in der Soziologie: Einige glauben, dass die Wissenschaft eine gesellschaftliche Praxis untersuchen könnte, die es auch ohne sie gäbe, für andere (Ethnomethodologie, Akteur-Netzwerk-Theorie) sind das Soziale und die Soziologie nicht voneinander trennbar, etwa weil jedes Mitglied einer Gesellschaft bereits über eine Soziologie verfügen muss, um überhaupt in dieser Gesellschaft agieren zu können. Für die zweite Position (mit der ich mich identifizieren kann) sind die theoretischen Begriffe second order-Konzepte, die auf Sinn, Verständnis, Diskursen oder Praktiken aufsetzen, die nicht selbst theorielos oder reflexionslos sind. Man kann dann noch darüber differieren, ob es möglich ist, auf dieser zweiten oder wissenschaftlichen Ebene zu einer Theorie zu kommen, die sich ganz von der Naivität der ersten Ebene löst. Vieles spricht dagegen; in Bezug auf die Wissenschaftsforschung finde ich hier die Argumentation von Michael Lynch sehr wichtig.

Vielleicht etwas holzhammerartig möchte ich die These aufstellen, dass sich in Bezug auf das Web (und vermutlich auch auf die PR) nicht radikal zwischen Forschung hier und Praxis da unterscheiden lässt. Es gibt nicht auf der einen Seite die Web-Entwicklung und auf der anderen Seite die Web-Wissenschaft, die nach ganz anderen Regeln funktionieren würde. So wie ein Phyiker Physik macht, wenn er in der Wirtschaft arbeitet, und nicht damit auf einmal unwissenschaftlich wird, so arbeitet auch ein Web-Praktiker theoriegeleitet oder theoriebezogen. Die Wissenschaftlichkeit kommt nicht von außen hinzu, sondern sie betrifft die Methoden der Prüfung, den Austausch von Erkenntnissen, die Konstruktion von Objekten, die zu diesem Praxisfeld gehören. Die Wissenschaftlichkeit ist nicht etwas statisch Gebenes oder eine zeitlose Norm. Ich vermute, man könnte auch von der PR-Forschung begründet sagen, dass sie ein Teil der PR ist. Wenn sie es nicht ist, gelangt sie nicht zu höheren wissenschaftliche Weihen, sondern wird schlicht irrelevant, oder aber sie gehört zu einem ganz anderen Feld der wissenschaftlichen Praxis, z.B. zur Geschichte.

Web-Wissenschaft verstehe ich nicht als Wissenschaft höherer Ordnung im Verhältnis zu den Niederungen der Technik und der Informatik sondern als wissenschaftliche Thematisierung des Webs als eines komplexen, auch sozialen und kommunikativen Phänomens. Die Web-Wissenschaft lässt sich aber nicht von der Entwicklung des Webs und von der Lösung von praktischen Problemen abtrennen. Sie hat eigentlich wohl schon mit der Erfindung des Webs begonnen.

Mir ist klar, dass es bei der Frage nach der Wissenschaftlichkeit kommunikationswissenschaftlicher Disziplinen um sehr schwierige Fragen geht. Ich versuche hier nur eine Position zu formulieren, um dann weiter fragen zu können. Eine Antwort auf diese Fragen würde ich am ehesten in der genauen Analyse der wissenschaftlichen Praxis und der wissens- und theoriegeleiteten Praxis der Praktiker suchen. Wenn ich ihn richtig verstehe, vertritt Thomas Pleil eine nicht völlig andere Position und beschäftigt sich auch deshalb in seinem dritten Post mit der konkreten Praxis der PR-Forschung.

Ein Kommentar zu “Web-Wissenschaft jenseits der Web-Entwicklung? Eine Überlegung im Anschluss an Thomas Pleil

  1. Danke für Deine spannenden Überlegungen!
    Ja, im Wesentlichen sehe mich in einer Position, in der Wissenschaft und Praxis mindestens eng vernetzt sind. Dies nicht nur aufgrund meiner Biographie und meiner aktuellen Tätigkeit, sondern auch, weil aus meiner Sicht ein dritter Aspekt hinzu kommt: Die Ausbildung. Sofern diese einen akademischen Anspruch erhebt, um Wege in die Praxis (wie im Einzelfall in die Forschung) zu eröffnen, erscheint mir hier ein weiterer verbindender Faktor zu bestehen.
    Zurück zur Forschung: Ich halte auch eine besonders enge Form der Vernetzung zwischen Forschern und Praktikern, wie sie sich z.B. in der Aktionsforschung ergibt, oft für notwendig/wünschenswert – ähnlich wie dies von einzelnen Kollegen wie Klaus Meier in Bezug auf die Journalistik gesehen wird. Dies funktioniert übrigens aber nur, wenn Forschende auch Verantwortung übernehmen – und sich nicht darauf zurückziehen, distanzierter Beobachter zu sein.
    Auf der anderen Seite meine ich, dass Forschende unterschiedliche Perspektiven nicht nur einnehmen können, sondern (zumindest gelegentlich) einnehmen müssen. Das Verständnis, PR-Wissenschaft soll schauen, wie sie die Praxis effizienter macht, kann ich zwar nachvollziehen und teile es in vielen Situationen, möchte es aber nicht als absolut sehen. Die distanzierte Beobachtung fehlt oft sogar schmerzlich. Denn zum Beispiel muss PR-Forschung auch in der Lage sein, Dinge zu thematisieren, die die Praxis gar nicht gern hört oder sie sogar (in Einzelaspekten) in Frage stellt. Dies könnte zum Beispiel passieren, wenn gesellschaftliche Nebenwirkungen untersucht werden. Forschungsfragen könnten z.B. sein, wie PR den Journalismus verändert oder welchen Einfluss Lehrmaterial, das im Rahmen von CSR-Aktivitäten hergestellt wird, auf die Bildung hat etc.

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