Cover des Climate Inequality Reports 2025

Ich kenne keinen besseren zusammenfassenden Text zur Klima-Ungerechtigkeit und zu einer wirksamen Politik gegen die voranschreitende Klimakrise als den neuen Climate Inequality Report (Chancel et al., 2025). Knapp und mit verständlichen Infografiken stellen Lucas Chancel, Cornelia Mohren und ihre Mitarbeiter:innen am World Inequality Lab die aktuellen Daten zu den Beziehungen zwischen unterschiedlich verteiltem Reichtum und Treibhausgas-Emissionen dar. Ausgehend von dieser Darstellung formulieren sie politische Maßnahmen gegen die Klimakrise. Diese Maßnahmen halte ich für die Basis eines Konsenses aller politischen Kräfte, die die globale Erhitzung wirksam bekämpfen wollen:

  1. ein Verbot aller Investionen in zusätzliche fossile Energieträger,
  2. eine Besteuerung von Vermögen, die sich an der Verursachung von Emissionen durch Konsum und vor allem durch Investitionen orientiert,
  3. massive, vor allem durch Steuern finanzierte öffentliche Investitionen in die Dekarbonisierung im Sinne des Pariser Abkommens.

Die aktuelle Klimapolitik in Europa – ganz zu schweigen von den USA – ist weit von diesen Maßnahmen entfernt. Sie orientiert sich viel mehr an den Interessen der Allerreichsten als an dem Ziel, die globale Erhitzung aufzuhalten. Auf diese macht- und geopolitische Dimension der Klima-Ungerechtigkeit geht der Climate Inequality Report nur indirekt ein.

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Seit mehreren Jahren verfolge ich die Klimaberichterstattung einiger Tageszeitungen. Die folgenden Thesen sind ein Ergebnis dieser Lektüre. Ich formuliere sie provisorisch als Ausgangspunkt für Diskussionen. Sie sind vor allem von Albert Camus’ Verständnis des Journalismus als Geschichtsschreibung und von Bruno Latours Arbeiten zur Geschichtlichkeit Gaias abhängig.

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Fressoz kritisiert in Le GIEC et l’histoire : les racines d’un malentendu (deutsch wörtlich: Der IPCC und die Geschichte: Die Wurzeln eines Missverständnisses, Fressoz, 2024a) die Ansicht, ein „Übergang“ zu erneuerbaren Energien werde zu der nötigen Dekarbonisierung des Energiesystems führen. Als Historiker stellt er fest, dass „phasenorientierte“ (frz: phasiste) Modelle technologischen Wandels den Entwicklungen der Vergangenheit und der Gegenwart nicht entsprechen. Neue Technologien setzen sich fast immer zusätzlich zu älteren durch, statt sie abzulösen. Ältere Technologien und die zu ihnen gehörenden Materialien werden durch die Verwendung neuerer Technologien umdefiniert, aber kaum abgelöst.

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Habe gerade das Kapitel über in Quinn Slobodians Crack-up Capitalism (Slobodian, 2024) gelesen. Knapp, gut lesbar und analytisch stellt Slobodian dar, wie Dubai seit den 1970er Jahren zum Inbegriff eines neuen Typs von Staat wurde, in dem autoritäre Regierung und Business nicht voneinander trennbar sind. Curtis Yarvin (auf den ich erst über die Beschäftigung mit Peter Thiel gestoßen bin) hat Dubai immer wieder als Vorbild für kommende autoritäre Staaten promoted. Dubai hat sein Modell in Form von Logistik- und Sonderwirtschaftszonen auf mehrere Kontinente exportiert. Dabei haben die einzelnen Wirtschaftszonen in Dubai selbst eine auf spezifische Business-Bedürfnisse zugeschnittene Legislation. Hintergrund und Bedingung für dieses Modell sind die Profite durch fossile Energien und die durch diese Energien ermöglichte internationale Logistik.

Slobodians Buch ist auf Deutsch erschienen (Slobodian, 2023). Einige Passagen zu Dubai enthält dieses Interview (Namdar, 2023).

Namdar, B. (2023, October 27). Quinn Slobodian: “Sie wollen den Staat abschaffen und durch private Dienstleister ersetzen.” Moment.at. https://www.moment.at/story/quinn-slobodian-kapitalismus-interview/
Slobodian, Q. (2023). Kapitalismus ohne Demokratie: Wie Marktradikale die Welt in Mikronationen, Privatstädte und Steueroasen zerlegen wollen (S. Gebauer, Trans.). Suhrkamp Verlag.
Slobodian, Q. (2024). Crack-up capitalism: market radicals and the dream of a world without democracy. Penguin Books.
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Ich habe mich in den letzten Tagem mit Texten und Podcasts zu Peter Thiel beschäftigt. Mich interessiert, welche Rolle er angesichts der Klimakrise und des ökologischen Kollaps in der amerikanischen Politik spielt und spielen will. In den vielen Artikeln über Thiel, die vor allem seit der zweiten Amtsübernahme Donald Trumps – den Thiel übrigens nicht unterstützt hat (Gellman, 2023) – erschienen sind, habe ich diese Fragestellung bisher nicht explizit gefunden. Ich halte sie für wichtig, um die Motive Thiels zu verstehen und die Risiken zu erkennen, die sich aus dem Einfluss Thiels in der amerikanischen Politik ergeben.1

Thiel agiert nicht auf der Ebene simpler Interessenpolitik. Ihm geht es um eine Defininition von Politik und politischen Institutionen, die wirkungsvolles staatliches und internationales Handeln gegen die ökologisch-soziale Polykrise unmöglich macht.

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Reportage von Anne Applebaum über die Drohnen-Angriffe der Ukraine auf die russische Öl-Infrastruktur, lesenswert wie alles von ihr (Applebaum, 2025). Russland finanziert den Krieg – und die eigene Oligarchie – vor allem mit Öl. Die Zerstörungen durch Drohnen treffen Russland offenbar empfindlicher als die enormen Verluste an Soldaten. Anne Applebaum stellt en passant fest, dass Trump die US-Sanktionen gegen Russland nicht nur nicht verschärft hat, sondern Sanktionen aus der Biden-Zeit auslaufen lässt. – Sandra Navidi hält es im Standard-Interview für möglich, dass die USA und Russland Europa gemeinsam „in die Zange nehmen“ (Navidi & Wilhelm, 2025).

Die Reportage macht deutlich, dass Russland diesen Krieg als Petrostaat führt – in vielen Artikeln zum Krieg gegen die Ukraine wird das nicht oder nur am Rande gesagt.

Applebaum deutet an, dass sich nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa beim Kampf gegen Russland zunehmend von den USA unabhängig macht. Sie erwähnt nicht, wie die USA die Ukraine benutzen, um Europa zu erpressen – möglicherweise das Hauptmotiv dafür, dass Trump die Ukraine inzwischen verbal unterstützt.

Applebaum, A. (2025, September 24). Ukraine’s Plan to Starve the Russian War Machine – The Atlantic. The Atlantic. https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2025/09/ukraines-strategy-to-win-the-war/684356/?gift=hVZeG3M9DnxL4CekrWGK3xoWkP29Du3xcPHNncGcN3E
Navidi, S., & Wilhelm, Z. (2025, September 26). US-Expertin Sandra Navidi: “Trump wird seine Macht nicht freiwillig abgeben” [Der Standard]. https://www.derstandard.at/story/3000000289031/us-expertin-sandra-navidi-trump-wird-seine-macht-nicht-freiwillig-abgeben
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Durch Zufall bin ich auf den Aufsatz Nationalism and Climate Change von Daniele Conversi gestoßen (Conversi, 2023). Conversi beschäftigt sich in diesem Review-Artikel vor allem mit dem Nationalismus als Hindernis für den Kampf gegen das, was er Anthropozän-Krise nennt. Er teilt die Befürchtung, dass die Menschheit durch diese Krise „aus der Geschichte vertrieben werden könnten“. Er verweist auf sehr viel Literatur, u.a. auf das Buch Overheating (Eriksen, 2016) des verstorbenen Thomas Hylland Eriksen, auf Ernest Gellner, Dipesh Chakrabarty und Prasenjit Duara. Ausführlich stellt er den „Ressourcen-Nationalismus“ (Resource Nationalism) der Petrostaaten (mit vielen Verweisen, u.a. zur OPEC) und die Verbindung von Nationalismus und Klimaleugnung dar. Am Ende seines vielschichtigen Aufsatzes fragt Conversi:

As climate change relentlessly advances across the planet, we have to face a central question: is there a real risk that nationalism may become the default response, so that, instead of international collaboration, unprecedented acrimony and conflict becomes the automatic setting and response? [p. 219]

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If politics succumbs to economics and economics is ruled by money, we arrive at plutocracy. In the extreme case, the suppression of civic liberties to enforce the rule of law by an authoritarian state is best described as fascism, as in the case of the well-documented support of Pinochet by Hayek and Friedman. (Polanyi Levitt, 2013, p. 35)

Polanyi Levitt, K. (2013). From the great transformation to the great financialization: on Karl Polanyi and other essays. Fernwood Pub.