Cover von Éric Pineault, A Social Ecology of Capital
Cover von Éric Pineault, A Social Ecology of Capital

Seit einigen Wochen beschäftige ich mich mit Éric Pineaults Buch „A Social Ecology of Capital“ (Pineault, 2023). Ich suche – und finde – bei Pineault Antworten auf Fragen, die ich schon lange habe: Wie hängt das Funktionieren der Wirtschaft mit der Überschreitung der planetaren Grenzen und den ökologisch-sozialen Krisen zusammen, die sich aus dieser Überschreitung ergeben? Warum haben Klimawissenschaft, Klimabewegung und Klimapolitik nur minimale Erfolge gegen die globale Erhitzung erzielt? Warum setzt sich die fossile Expansion fast ungebremst fort, und warum gelingt es reaktionären Politikern in den USA, Russland und Europa, sie sogar noch zu beschleunigen? Und: Welcher Kapitalismusbegriff hilft dabei, die Ursachen für diese Prozesse und Niederlagen zu verstehen und sich gegen sie zu engagieren? In welchen Beziehungen stehen Wirtschaftskonzepte aus marxistischen und nichtmarxistischen Traditionen zur ökologischen Ökonomie? Wie zwingend ist die Forderung nach Degrowth als Antwort auf die Klimakatastrophe und die übrigen sozial-ökologischen Krisen?

Für mich ist Pineaults Buch ein Verbindungsstück zwischen den erdsystemwissenschaftlichen Erkenntnissen zum Anthropozän (aktuell zusammengefasst in: Summerhayes et al., 2024) und der Analyse des Handelns und Nichthandelns in Wirtschaft und Politik angesichts der ökosozialen Krisen (wie vor allem Stoddard et al., 2021).

Pineault entwickelt Begriffe, um die materielle und damit die ökologische Dimension unseres Wirtschaftssystems zu erfassen. Er beschreibt die Akkumulation des Kapitals als den entscheidenden Motor für das Wachstum der Wirtschaft, die er immer ausgehend von ihrer Materialität analysiert. Und er beschäftigt sich mit Grundzügen des aktuellen Akkumulationsregimes.

„Eric, we don’t know what capitalism is yet.“

In der Einleitung formuliert Pineault den Anspruch seines Buchs: Eine kritische Theorie des Kapitalismus zu formulieren, die dabei hilft, ihn zu verlassen. Er erzählt, dass Murray Bookchin ihn in den 90er Jahren zu den Forschungen angeregt hätte, die zu seinem Buch geführt haben:

„Eric, we don’t know what capitalism is yet.“

Pineault beansprucht nicht, Bookchins Auftrag erfüllt zu haben. Aber er erklärt ausgehend von dieser Anekdote, worum es ihm geht: eine kohärente Theorie des Kapitalismus zu formulieren, die den Erkenntnissen der sozialen Ökologie gerecht wird. Diese Theorie hat einen kritischen Anspruch: Sie soll eine Praxis begründen, die die Ungerechtigkeit und die ökologischen Zerstörungen des herrschenden Wirtschaftssystems wirksam bekämpft.

Gesellschaftlicher Metabolismus und Akkumulation des Kapitals

Pineault geht vom Wissensstand der ökologischen Ökonomie und der sozialen Ökologie aus und bezieht sich dabei vor allem auf die die Untersuchungen, die von Marina Fischer-Kowalski, Helmut Haberl und ihren Kolleginnen und Kollegen am Wiener Institut für Soziale Ökologie der Boku durchgeführt wurden. Zentral sind dabei das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels und die Analyse von Material- und Energieflüssen zwischen Wirtschaft und Umwelt und zwischen verschiedenen Ländern. Zu diesem Wissenskorpus gehört auch die Unterscheidung von verschiedenen metabolischen Regimes, nämlich denen der Jäger- und Sammler-Gesellschaften, der agrarischen Gesellschaften und der fossilen Industriegesellschaften.

Pineault verbindet dieses Wissenskorpus mit den Analysen der Akkumulation im Kapitalismus, zu denen es eine lange, teilweise auf Marx und vor allem Rosa Luxemburg zurückgehende Tradition gibt. Ein zentraler – in der Regulationstheorie entwickelter – Begriff ist hier der des Akkumulationsregimes, das heißt einer historisch bestimmten Institutions- und Machtkonstellation, die die Akkumulation des Kapitals in einer Gesellschaft sicherstellt.

Als das heute in den westlichen Gesellschaften relevante Akkumulationsregime beschreibt Pineault den Monopol-Kapitalismus so, wie er seit den 1960er Jahren vor allem von marxistischen Theoretikern wie Baran und Sweezy dargestellt wurde (Baran & Sweezy, 1973). Dieses Verständnis der Wirtschaft der Nachkriegszeit unterscheidet sich – wenn ich es richtig sehe – nicht grundlegend von einigen Analysen der wirtschaftlichen Verhältnisse nach dem zweiten Weltkrieg in der Nachfolge von Keynes und Kalecki.

Wachstumskoalition und „Treadmill of Production“

Im Gegensatz zum Kapitalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in dem Profite vor allem von der Produktion von Gütern zu möglichst geringen Kosten abhingen, ist der moderne Kapitalismus vor allem dadurch gekennzeichnet, wie er die Absorption der produzierten Güter, also ihre Abnahme durch Verbraucherinnen und Verbraucher sicherstellt. Dazu braucht er einerseits kaufkräftige konsumierende Kundinnen und Kunden, muss also die entsprechenden Einkommen zur Verfügung stellen. Andererseits muss er die Lebenswelt der Abnehmerinnen und Abnehmer der Produkte, die „Reproduktions-Sphäre“, so gestalten, dass möglichst viel abgesetzt werden kann. Die Produkte selbst sind so kapitalintensiv, dass große monopolistische Korporationen das wirtschaftliche Geschehen bestimmen. Sie organisieren ihre Absatzmärkte und die gesamte übrige Wertschöpfungskette so, dass sie sicherstellen können, dass ihre enormen Investitionen langfristig rentabel sind.

Der Staat spielt eine entscheidende Rolle dabei, dass der Absatz der vielen Produkte und damit die Akkumulation des Kapitalis in den modernen Industriegesellschaften sichergestellt wird. So kommt es zu einer Wachstumskoalition zwischen den monopolistischen Konzernen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und dem Staat, der versucht, ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessen herzustellen.

Betrachtet man diese Wachstumskoalition unter ökologischen Gesichtspunkten, dann bewirkt sie, dass einerseits immer mehr Materialien und Energie aus der Umwelt extrahiert und andererseits immer mehr Abfall erzeugt, die Umwelt also immer mehr verschmutzt wird. Pineault stellt diese Verhältnisse ausgehend von Allan Schnaibergs Treadmill of Production-Modell (Schnaiberg, 1980) dar.

Stocks und Flows und ihre Übersetzbarkeit in Geld

Noch einmal anders zusammengefasst: die soziale Ökologie im Sinne Pineaults beschreibt die Wirtschaft, die zur Überschreitung der planetaren Grenzen geführt hat, als Gesamtheit von Stocks und Flows, von Beständen und Flüssen von Energie und Material. Die vier Phasen des ökonomischen Prozesses sind Extraktion von Materialien und Energie, Produktion, Verbrauch und Dissipation (Entsorgung der nicht mehr weiter verwertbaren oder verwerteten Ergebnisse der Akkumulation). Als Motor des Wachstums der Wirtschaft wird die Akkumulation von Kapital verstanden, dass heißt die Akkumulation von Werten, die in Geld übersetzt werden können, wobei das Geld wiederum in materielle Bestände zurückübersetzt werden kann.

Sie stellt dann dar, dass für die Akkumulation des Kapitals heute vor allem relevant ist, dass große monopolistische Konzerne Absatzmärkte finden und gestalten, die sicherstellen, dass die enormen inzwischen notwendigen Investitionen rentabel sind. Ökologisch gesehen bedeutet das, dass die Umwelt des Wirtschaftssystems durch Extraktion und Dissipation immer mehr belastet wird, bis hin zum Überschreiten der planetaren Grenzen. Dabei werden auch die Phasen der Extraktion und der Dissipation immer kapitalintensiver – wie sich etwa einerseits beim Fracking und andererseits bei Technologien wie Carbon Capture and Storage zeigt.

Vom Weiterarbeiten der Treadmill of Production profitieren die Kapitaleigner, also die großen Korporationen am meisten. Es profitieren aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher in den hochindustrialisierten Gesellschaften. Dabei zerstört dieses Akkumulationsregime zunehmend die Lebensgrundlagen. Und es führt auch, worauf Pineault in diesem Buch nur gelegentlich eingeht, zu extremer Ungleichheit zwischen verschiedenen Regionen auf dem Planeten.

Pineault beschäftigt sich nur am Anfang und am Schluss seines Buches damit, wie man gegen dieses Akkumulationsregime handeln kann. Er bezeichnet das Vorgehen gegen die Materialität der gegenwärtigen Wirtschaft, also zum Beispiel gegen Pipelines und fossile Infrastruktur, als einen Ausgangspunkt seiner sozialen Ökologie des Kapitals. Und er eröffnet am Schluss den Horizont einer nicht mehr kapitalistischen Gesellschaft in den Ruinen des kapitalistischen.

Abhängigkeit von der Akkumulation und Blockade der Klimapolitik

Ich möchte nur kurz auf einen Aspekt dieser Darstellung eingehen, mit dem sich Pineault nur am Rande beschäftigt: den Aspekt der völlig unterschiedlichen Macht der verschiedenen an der Treadmill of Production Beteiligten. Auf der einen Seite steht eine sehr kleine Gruppe, die über Investitionen und weitere wirtschaftliche Entwicklung entscheiden kann. Ihr gegenüber steht die Masse derjenigen, die als Arbeitende und Konsumierende von den monopolistischen Korporationen abhängig sind. Für diese Gruppen, also für alle, die kaum Kontrolle über ihre eigene wirtschaftliche Existenz haben, bringen die Versuche, das aktuelle Wirtschaftssystem zu ökologisieren, schnell Risiken oder Nachteile mit sich. Für die herrschenden monopolistischen Konzerne können diese Versuche zu weniger Profiten und damit zu weniger Rentabilität der bisher getätigten Investitionen führen. Auch damit vergrößert sich das Risiko für diejenigen, die nicht über wirtschaftliche Macht verfügen.

Damit befindet sich die Klima- oder Klimagerechtigkeitsbewegung zwischen Baum und Borke. Sie muss eine Bevölkerung ansprechen, die aus lauter Einzelnen besteht, die in Lebensstandard und wirtschaftlicher Sicherheit vom Funktionieren der kapitalistischen Akkumulation abhängen. Gleichzeitig kämpft sie gegen die Konzerne, die von der aktuellen Akkumulation zumindest kurzfristig am meisten profitieren. Sobald es zu Krisen kommt – und in den letzten Jahren ist es zuerst durch Corona und dann durch den russischen Krieg gegen die Ukraine zu Krisen gekommen – verschärfen sich diese Schwierigkeiten. Das gehört zu den Ausgangsbedingungen, mit denen die Klimabewegung heute zu kämpfen hat.

Ökologische Unumkehrbarkeit und Ideologieverdacht

Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt eingehen: den des Ideologieverdachts gegen eine antikapitalistische Argumentation. Ich habe selbst Angst davor, angesichts der Schwierigkeiten der Klimabewegung bei gleichzeitiger Verschärfung der ökologischen Katastrophen in eine traditionelle, unabhängig von den ökologischen Krisen formulierte antikapitalistische Ideologie zu verfallen und dann das aktuelle Geschehen im Sinne der dokumentarischen Methode, die ich neulich einmal kurz erwähnt habe, nur als Beleg für etwas Allgemeines anzusehen, das man vorher schon gewusst hat.

Anders ausgedrückt: Für mich stellt sich die Frage, ob die Aussagen Pineaults oder der sozialen Ökologie einen ähnlichen Grad an Sicherheit oder Zuverlässigkeit haben wie die erdsystemwissenschaftliche Aussagen zu den Folgen des herrschenden Wirtschaftssystems.

Ich sehe eine der wichtigsten Eigenschaften des Konzepts der Akkumulation darin, dass es die beiden Sphären der Erdsystemwissenschaft und der Gesellschaftsanalyse miteinander verbindet. Man kann „Akkumulation“ einfach quantitativ als Akkumulation von Stocks und Flows analysieren. Und man kann sie in Verbindung zur Akkumulation von Kapital bringen, das heißt in Verbindung zur Monetarisierung der Material- und Energieflüsse. Über die monetäre Seite oder den monetären Ausdruck dieser Flüsse lässt sich dann eine Beziehung zu gesellschaftlichen Institutionen und Machtverhältnissen herstellen.

Die Bedeutung von Pineaults Buch sehe ich vor allem darin, diese beiden Aspekte der Akkumulation konsistent miteinander zu verbinden: einerseits Akkumulation als reine quantitativ erfassbare Anhäufung von Energie und Material und andererseits Akkumulation von Kapital, das heißt von „Werten in Bewegung“ (David Harvey), bei denen materieller und monetärer Wert ineinander übersetzt werden können. Der monetäre Aspekt versteckt dabei, dass Akkumulation als materielles Phänomen immer Flüsse von niedriger zu hoher Entropie und damit irreversible Prozesse voraussetzt. Das, was heute gegen Geld umgetauscht wird, wenn also zum Beispiel eine hohe Qualität der Umwelt durch mehr Kapital ersetzt wird, kann scheinbar später wiederhergestellt werden, indem Geld für Umweltqualitäten ausgegeben wird, also z.B. für Carbon Capture and Storage. Diese Umkehrbarkeit versteckt die Unumkehrbarkeit der ökologischen Prozesse.

So ermöglicht es einerseits die Übersetzbarkeit von Stocks und Flows in Geld von der biophysikalischen Ebene zur ökonomisch-sozialen Ebene in der Analyse zu kommen. Und andererseits erklärt sie, wieso eine vom Geld ausgehende ökonomische Betrachtung die irreversible Seite des ökologischen Geschehens verkennt. Ideologisch ist vor allem diese Ignoranz der Materialität des wirtschaftlichen Geschehens. Dem Ideologieverdacht gegen eine Kapitalismus-kritische Argumentation lässt sich die Kritik an der Ideologie entgegenhalten, dass die Monetarisierung ökologischer Ressourcen umkehrbar sei.

Literatur

Baran, P. A., & Sweezy, P. M. (1973). Monopolkapital: ein Essay über die amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (1. Auflage). Suhrkamp.
Pineault, É. (2023). A Social Ecology of Capital. Pluto Press.
Schnaiberg, A. (1980). The environment, from surplus to scarcity. Oxford University Press.
Stoddard, I., Anderson, K., Capstick, S., Carton, W., Depledge, J., Facer, K., Gough, C., Hache, F., Hoolohan, C., Hultman, M., Hällström, N., Kartha, S., Klinsky, S., Kuchler, M., Lövbrand, E., Nasiritousi, N., Newell, P., Peters, G. P., Sokona, Y., … Williams, M. (2021). Three Decades of Climate Mitigation: Why Haven’t We Bent the Global Emissions Curve? Annual Review of Environment and Resources, 46(1), 653–689. https://doi.org/10.1146/annurev-environ-012220-011104
Summerhayes, C. P., Zalasiewicz, J., Head, M. J., Syvitski, J., Barnosky, A. D., Cearreta, A., Fiałkiewicz-Kozieł, B., Grinevald, J., Leinfelder, R., McCarthy, F. M. G., McNeill, J. R., Saito, Y., Wagreich, M., Waters, C. N., Williams, M., & Zinke, J. (2024). The future extent of the Anthropocene epoch: A synthesis. Global and Planetary Change, 242, 104568. https://doi.org/10.1016/j.gloplacha.2024.104568

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